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Kunsttherapie in der Psychotherapie

Der Mensch als Einheit von Körper und Geist reagiert ganzheitlich auf Störungen. Jede Krankheit ist erst einmal ein Angriff auf die Identität und bringt den Menschen massiv ins Wanken. Wird ein Aspekt gestört bspw. durch körperliche Erkrankung, wird auch der andere Aspekt, bspw. die Seele aufgefordert, diesen »Schicksalsschlag« zu verarbeiten. Häufig ändert sich durch die Krankheit sogar die körperliche Gestalt oder das Aussehen, was zusätzlich zum sozialen Rückzug führt. Zudem wird die Leistungsfähigkeit gemindert, die soziale Wahrnehmung weiter geschwächt. Krankheit betrifft auch nicht nur den Erkrankten, auch das soziale Umfeld wird im »normalen« Alltag gestört. Meistens kollidieren dann die persönlichen Visionen, Träumen und Erwartungen aller Beteiligten. Ein fruchtbarer Boden für Verletzungen und Enttäuschungen. Neue Wege müssen getestet werden, wie mit der neuen Situation umgegangen werden könnte. Strategien müssen gefunden werden, wie alle

Beteiligten effektiv unterstützt werden können und wie neue Abläufe im Alltag heimisch werden können. Daran können Freund- und Partnerschaften zerbrechen. Mich erinnert diese Beschreibung an das Einstürzen und Überrollen einer riesigen, gewaltigen Flutwelle größer

Herausforderungen, unüberwindbar und kurz vorm Ertrinken. Kein Wunder dass es bei dem Versuch alle Herausforderungen gleichzeitig zu meisten, nicht selten massive Schwierigkeiten geben wird. Eine angebrachte Form der Hilfe ist Psychotherapie. Es gibt keine eigene Psychotherapie für Patienten speziell mit körperlichen Erkrankungen. Das muss es auch nicht, denn es geht nicht um eine medizinische Behandlung. Dafür gibt es Fachärzte und Experten. Es sind vielmehr Schwerpunkte der Psychotherapie krankheitsbedingte psychischer Störungen wie Depressionen und Ängste zu behandeln. Weiter helfen angemessene Stressbewältigungsstrategien und soziale Kompetenzen, die

in der Psychotherapie eingeübt werden können, zu einem verbesserten Umgang mit der Krankheit. Außerdem kann Stressbewältigung zu einem bewussteren Wohlbefinden führen, um auf diese Weise den Körper zu entlasten.

 

Ich möchte Ihnen nun eine besondere Form der Psychotherapie vorstellen, die die oben angesprochenen Behandlungsziele auf intensive und ausdrucksstarke Art mit höchster Selbstwirksamkeit verfolgt – Die Kunsttherapie.

Die Kunsttherapie wird einerseits vermehrt in Kliniken angeboten und dankbar von Patienten angenommen. Doch als eine wirkungsvolle Alternative zu den klassischen Psychotherapien im ambulanten Bereich kaum in Betracht gezogen. Leider, denn kaum ein anderes Therapieverfahren hat solch eine vielfältige Wirkkraft, wie die Kunsttherapie.

 

Was ist Kunsttherapie und was macht man da eigentlich?

Abgrenzung zur Ergotherapie:

Aus meinen Erfahrungen sind Aussagen zur Kunsttherapie nicht selten, wie: »Ich kann doch nicht malen!«, »Das ist nur was für Kinder!« oder »Kenn ich, das gab es auch in der Klinik, da wurde auch gemalt…« Meist wird es häufig sogar mit Ergotherapie verwechselt.

In der Ergotherapie wird auch gemalt und gestaltet, aber…Über die Tätigkeit als solches soll der Menschen sozial, motorisch und konditionell auf Arbeit und Alltag vorbereitet werden. Der Begriff Ergotherapie stammt aus dem Griechischen und besagt so viel wie: Gesundung durch Handeln und Arbeiten, bspw. Korbflechten, Batiken, Malen, Stricken, Filzen oder Handwerkern. Ergotherapie steht nicht im psychotherapeutischen

Kontext, es ist kein psychotherapeutisches Verfahren. Kunsttherapie dagegen gehört zu den psychotherapeutischen Verfahren.

 

Abgrenzung zu den klassischen Psychotherapieverfahren:

Die klassischen, d. h. kassenzugelassenen Psychotherapien sind Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und analytische Psychotherapie. Alles Verfahren, die hauptsächlich über das Gespräch arbeiten. Kunsttherapie gehört der Fachrichtung der kreativen Therapien an. Darunter fallen auch Musik-, Tanz-, Schreibtherapie o.ä. Die Haupttätigkeiten in der Kunsttherapie ist das Gestalten, wie Malen, Plastizieren, Zeichnen oder Collagieren, meist unter Anleitung. Aber auch die narrative Bildbetrachtung, therapeutisches bildliches Schreiben können in der Kunsttherapie angewendet werden. Im Anschluss des Gestaltungsprozesses wird das Bild-/Werk betrachtet und

besprochen. Kunsttherapie ist häufig eine Mischung aus Gestalten und Gespräch. Im Gegensatz zu den klassischen Psychotherapieverfahren geht Kunsttherapie über das Gespräch hinaus.

 

Geschützter Probe- und Anschauungsraum:

Kunsttherapie bietet wie auch alle anderen psychotherapeutische Verfahren einen geschützten »Proberaum«, in welchem Handlungen und Denkweisen betrachtet, weiterentwickelt und einer sinnvollen Wandlung unterzogen werden können. Die Verbildlichung und der Gestaltungsprozess bieten darüber hinaus einen erweiterten Anschauungsraum.

Dieser Anschauungsraum fördert besonders:

  • kreative Ressourcen neu zu entdecken,
  • Selbstheilungskräfte zu mobilisierten sowie
  • vielfältige Veränderungsprozesse anzuregen.

 

Was sind »typische« Schwerpunkte und Themen, die in der Kunsttherapie bearbeitet werden?

Kunsttherapie ist besonders geeignet auf die drängenden Lebensfragen Antworten zu finden. Antworten mit einem ganz individuellen Ausdruck.

  •  »Wer ich bin?«, Selbstwahrnehmung und Selbstannahme
  • Entwicklung eines authentischen Ausdrucks mit Hilfe von Farben und Formen
  • Rollenbilder, Betrachtung der Weiblichkeit und Männlichkeit
  • Identitäts- und Entscheidungsfindungsfragen, Woher komme ich?«, »Wohin
  • möchte ich?«
  • Umgang mit Emotionen: Bilder zu Wut, Angst, Trauer oder Freude
  • Krisen verstehen, Veränderungen zulassen
  • Die verletzte Seele: Trauerprozesse begleiten, Trennung / Schmerz ausleben
  • Stressbewältigung, -management und Achtsamkeit
  • Krankheiten verarbeiten: »Welche Aufgabe im Leben stellt mir die Krankheit?«,

erst durch Krankheit wird fehlende Gesundheit bewusst, nur durch Krankheit kann auch Heilung stattfinden.

 

Was macht Kunsttherapie so wirkungsvoll?

  1. Mit allen Sinnen die Welt intensiver wahrnehmen und begreifen. Durch das kreative Gestalten wird die Welt mit allen Sinnen, somit intensiver wahrgenommen und auf ganz ursprüngliche Weise begriffen
  2. Leichterer Zugang zu den Gefühlen und Konflikten. Ausgestaltete Gefühle und Konflikte werden durch das Verbildlichen ein Objekt außerhalb von sich. Das Objekt kann mit neuer Distanz betrachtet und neubewertet werden. Es ist einfacher über ein Objekt zu sprechen als über Gefühle.
  3. Zugang zum Unbewussten. Durch Kunsttherapie werden innerpsychische und psychomotorische Konflikte sichtbar, die sonst verborgen geblieben wären. Durch das Bewusstmachen können diese Konflikte aufgelöst bzw. ein Zugang zum Unbewussten eröffnet werden. Es ermöglicht eine bessere Erkenntnis der Bedürfnisse. Diese Möglichkeit eines leichteren Zugangs zum Unbewussten, ist eines der wirkungsvollsten Potentiale gegenüber allen anderen Therapien. kreative Ressourcen neu zu entdecken, Selbstheilungskräfte zu mobilisierten sowie vielfältige Veränderungsprozesse anzuregen. Ressourcen aktivieren, Mut machen und Kraft geben. Im Verbildlichen und Bewusstmachen der eigenen Fähigkeiten und Dingen, die einem Kraft geben, werden individuelle Seiten deutlicher und positiver erkannt. So wird das Selbstbewusstsein gestärkt und Mut erzeugt. Die Herausforderungen, die das Leben stellt, werden so mit größerem Selbstvertrauen gemeistert.
  4. Im Hier und Jetzt – Gestalten fördert Kreativität und Achtsamkeit. Im Gestaltungsprozess befindet man sich in einem Moment, bei dem man ganz bei sich ist. Scheinbar aus dem Nichts entsteht etwas, auf das sofort mit Linie und Farbe reagiert wird. Es fordert eine Anpassung in jedem neuen Moment, bis ein »fertiges« Bild-/Werk entsteht. Durch das Gespräch über Gefühle und Emotionen, die während des Gestaltungsprozesses entstanden, wird zusätzlich Achtsamkeit geschult. Gleichzeitig wird im höchsten Maße die Selbstwirksamkeit gestärkt. Ein wichtiger Baustein für das Lebenssinnempfinden.
  5. Visualisierung wirkt wie eine reale Erfahrung. Das Gehirn unterscheidet nicht zwischen Realität und Vorstellung. Gleiche Gehirnareale werden angesprochen. Durch übende und wiederholende Verbildlichung von Vorstellung gewünschter Handlungen wird die Vorstellung als Erfahrung verankert und zu einem neuen gewünschten Handlungsmuster geformt. Sogar noch stärker verankert, als wenn darüber »nur« gesprochen wird. Denn Worte und Gedanken haben die Tendenz sich zu verflüchtigen, sobald sie ausgesprochen werden.
  6. Regulierende Wirkung auf die körperlichen Funktionen. Das Arbeiten mit Farbe und verschiedenen Materialien wirkt regulierend auf Ihre körperlichen Funktionen und aktiviert die Selbstheilungskräfte.

 

Urheberrechte bei Julia Schneider ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, diplomierte Psychosoziale Kunsttherapeutin

(IFKTP) Mitglied im Verband Deutscher Kunsttherapeuten (VDKT). Seminarleiter für Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson,

Fortbildung in Anthroposophischer Psychotherapie (Biographiearbeit), Fortbildung in »Systemisch-lösungsorientierter Gesprächstherapie« u.v.m.

Erstveröffentlichung in VDKT-Newsletter 08. 08. 2019

 

Mehr dazu unter www.kt-schneider.de

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